Montag, 14. März 2016

Kapitel 1, Part 4

Der junge Adept hatte keine Antwort auf den Lippen, also senkte er den Kopf. Er wusste, welch ungemeine Ehre ihm kurz bevorstand, welch Wunder er sehen durfte.
Den Ordensmitgliedern des Schabanach war es verboten, den geweihten Boden des Klosters zu verlassen. Dies hier war für immer ihr zu Hause, eine andere Welt gab es für die Mönche nicht. Einen Weg zurück in ein anderes Leben gestatten die Götter nicht. Wer einmal seine heiligen Gelübde abgegeben hatte, war auf ewig ein Diener der höheren Kräfte - mit jeder Faser des Körpers, mit jedem Gedanken des Geistes.
„Ich weiß, dass deine bevorstehende Aufgabe für dich etwas ganz besonderes ist, mein Sohn“, sprach ihm sein Lehrer zu, „aber glaube mir, als Ehre würde ich dies nicht bezeichnen. Eher ein Opfer, welches jedes Mitglied von uns gerne bereit wäre, zu geben. Auch wenn das Opfer das eigene Leben bedeuten würde.“
Karas verzog gegen seinen Willen das Gesicht. Für ihn war es eine Ehre und sicherlich kein Opfer. Es war ein Privileg durch das Tor schreiten zu dürfen und die Bäume außerhalb der Mauern nicht nur zu sehen, sondern auch tatsächlich berühren zu dürfen.
Es war einer dieser Gedanken, die Karas ordentlich zusetzten. Wenn es für seinen Meister und viele seiner Brüder solch eine Bürde war, wieso fühlte es sich für ihn so besonders an? Warum war er so anders wie seine Mitstreiter? War er vom Weg abgekommen und heimlich in die Zone der Zweifler gerutscht? Was war nur mit ihm los...warum war er so anders?
Er verbeugte sich vor seinem Lehrer und erwiderte: „Wie immer danke ich euch für eure Weisheit, Pater. Ein Teil von mir fürchtet sich vor der kommenden Aufgabe und ich weiß nicht, ob ich dafür schon bereit bin. Ich fürchte, euch zu enttäuschen.“
Der Gesichtsausdruck seines Gegenüber entspannte sich ein wenig und nahm freundlichere Gesichtszüge an. Ein kleines, aufmunterndes Lächeln macht sich auf dem Gesicht des wesentlich älteren Priesters breit. „Natürlich wirst du uns nicht enttäuschen, du bist stark im Herzen und hell im Geiste, mein Freund.“
Karas warf einen Blick über seine Schulter und hatte sein Zuhause der letzten zwei Jahrzehnte im Blick. Das Kloster des Schabanach, ein Heiligtum mitten in das Stein der Ausläufer des großen Gebirges gehauen, welches sich weiter über ihnen erstreckte. Ein Gebäude älter, wie das Leben aller Bewohner auf dieser Erde. Ein Ort des Friedens, der Hoffnung sowie des spirituellen Wegs. Der Hauptteil hatte eine kreisrunde Form und war exakt in der gleichen Form in den Fels geschlagen, so dass sich in der Mitte eine Art Hof befand. Eine Mauer grenzte den Hof von der Außenwelt ab und erstreckte sich von der einen Seite des Klosterhalbkreises, bis zur anderen. Die Mönche konnten sich selbst ernähren, mit kleinen gebrechlich wirkenden Gewächshäusern im Hof und einer Wasserquelle im Inneren des Hauptgebäudes. Gemüse, Kartoffeln und frisches Wasser - sie hatten hier für ihr spärliches Leben all jenes, was sie für das Überleben in der garstigen Wildnis brauchten.
„Bist du bereit für die Zeremonie heute Abend?“
Karas antwortete mit einem zögerlichen Nicken: „Ich denke schon, Pater.“
Der Ältere blickte seufzend wieder in die weite Welt hinaus.
„Die Aufgabe eines Entsandten ist nicht immer einfach, aber sie ist essentiell, Bruder. Für das Fortbestehen unseres Ordens und für den Fortbestand unserer Götter.“
Der Lehrling schnaufte schluckend und trat einen Schritt nach vorne, direkt neben seinen Gesprächspartner.
„Ich werde meine Aufgabe erfüllen. Seid euch dessen Gewiss, Pater.“
Die breiten Schultern des Gelehrten sackten ein wenig nach unten und als er Karas diesmal ins Gesicht sah, wirkten seine Augen müde und die Stimme brüchig: „Dunkelheit breitet sich über dem Kontinent aus. Ich spüre jeden Tag, wie sie zunimmt. Es wird nicht mehr lange dauern, bis diese Dunkelheit auch uns erreicht, mein Sohn.“
Mit seinen Händen schob er die Kapuze zurück und entblößte graues, lichtes Haar. Sorgenfalten lagen auf seiner Stirn, ein Kontrast zum vorherigen Verhalten.
„Der Kontinent versinkt im Chaos. Ich hoffe wir sind für das gewappnet, was uns allen bevorsteht. Wir müssen wieder auf den Pfad der Tugend zurückkehren oder wir werden alle im Fegefeuer der Hölle verbrennen.“


Ende des ersten Kapitels 1!

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